Musical Fidelity A1 - oft kopiert, nie verstanden
...oder: A1 ist Class A?
Manchmal eher das Gegenteil...
...Bilder folgen...
Der Anlass, diesen Abschnitt von theoretischen Artikeln überhaupt redaktionell zu beginnen, war ein Werbe-Traktat in PDF-Form zur Neuauflage des A1 im Jahr 2023. Da steht in meinen Augen derart geballter Unfug drin, da kann ich einfach nicht mehr still halten.
Diese berühmte Konstruktion von de Paravancini ist von Marc Hennessy ja schon angeschnitten worden, doch einschließlich dem entwerfenden Entwickler und der Herstellerfirma hat ganz offenbar keiner eine umfassende Ahnung, wie und warum diese Schaltung überhaupt funktioniert. Zumindest machen deren Äußerungen nicht den Eindruck - man kann nie ausschließen, dass "heimlich schlau sein" verborgen wird - doch da das Produkt ja funktioniert - und das gar nicht schlecht - ist eigentlich unverständlich, wieso man dazu denn völlig falsche Funktionserklärungen liefern sollte.
Es fing bei mir vor mehr als einem Jahrzehnt an, dass ich die Äußerungen des damals noch lebenden de Paravancini äußerst kritisch nahm. Die Behauptung stand im Raum, dass die Schaltung deshalb Class A sei, weil man die beiden Schaltungshälften als parallel betrachten könne. Wie der Strom dazu während der einen Signalhälfte aus dem nicht aktiven Zweig zusätzlich in die Last geraten sollte, bei falscher Polung, dazu äußerte er sich allerdings nicht. Abgesehen davon, dass in einem A1 selbst der Ruhestrom für Class A im engeren Sinn nicht ausreichen kann, war diese Behauptung wohl einfach einer gedanklich falschen Übertragung der Verhältnisse in Röhrenverstärkern auf den A1 geschuldet - denn genau das und nichts anderes hat de Paravancini ja sonst gemacht: Röhrenverstärker.
Und hier muss man anmerken: für eine Röhre in Standard PP-Konfiguration oder für eine Endstufe mit Emitter-Folger-Ausgang, Emitter-Widerständen und fixer Basis-Basis-Spannung in Komplementär, Quasi-Komplementär oder mancher Compound-Schaltung ist die Behauptung FAST schon richtig (da liegen wir nur noch um den Faktor Wurzel aus zwei daneben, also um 3dB).
Wo aber ist der Haken, wo ist der Konzept-Unterschied?
Und was war geschehen, dass Paravancini sich diese unzutreffende Erklärung eingebildet hat?
Nun, eigentlich hat das nichts mit Röhren und Transistoren zu tun. Es ist u.a. der Ausgangs-Übertrager und die damit verbundene Induktion und Transformation:
Ein symmetrisch gewickelter Ausgangs-Übertrager mit Mitten-Einspeisung der Versorgungsspannung arbeitet nämlich durch Induktion und Kopplung mit dem doppelten Spannungshub der zugeführten Betriebsspannung. Geht die eine Anode gegen Null Volt, ist die Momentan-Spannung an der anderen Anode nämlich automatisch die doppelte Betriebsspannung. Im Scheitelpunkt ist diese Spannung dann auch bei "Class A" stets unbelastet/frei laufend - zumindest bei korrekter Arbeitspunkt-Wahl.
Was zur Folge hat, dass der erzielbare Class-A-Wirkungsgrad mit symmetrischem Push-Pull über einen Trafo ganz sicher 50% ist.
Bei Eisen-losem Push-Pull sind maximal 50% Wirkungsgrad nur erzielbar, wo die Ansteuerung für beide Hälften den Ruhestrom verdoppeln kann, während die andere Hälfte auf Null fährt, an dieser Stelle liegt einer der Hunde begraben, warum der Entwickler wohl selbst der Meinung war, er hätte beim A1 zwangsläufig "Class A" vor sich. Leider ist der empirisch im A1 festgelegte Ruhestrom in seinem Wert ganz anders begründet und würde normalerweise - also bei linearer Steuerung beider Verstärkerhälften - bereits an 8Ohm zum totalen Abschalten des Gegentransistors 3dB unterhalb der Übersteuerungsgrenze führen.
Weiter wurde behauptet, dass man "Class A"daran erkennen würde, dass sich an Nennlast im gesamten Aussteuerungsbereich die Leistungsaufnahme nicht ändert. Nun, jeder Dackel ist ein Hund. Doch deshalb ist noch längst nicht jeder Hund ein Dackel...
Diese Definition stimmt nämlich einfach genauso wenig, siehe unten.
Nun, wegen dieses Artikels habe ich nun aber auch einige Diskussionen mit einem meiner Kollegen gehabt, musste auch selber noch dazu lernen und jetzt zugestehen:
meine bisher als allgemein gültig angenommene ausschließliche Definition für Class A in eisenlosem push-pull hat auch nicht gestimmt. Der Wirkungsgrad ist tatsächlich mehr eine Frage der Schaltungsweise, als ich bisher angenommen hatte. Der Wirkungsgrad von maximal 25% trifft auf all die Konzepte zu, bei denen die Last zwischen zwei Ausgangs-Elementen in Reihe angeschlossen ist, von denen mindestens eine Seite nicht weiter aufgesteuert wird, also entweder reiner "Ballast" ist, oder ihren Strom nur verringern kann.
Z.B. eine Konstantstromquelle.
Leuchtendstes Beispiel hierfür ist der A21 von Sugden in all seinen Varianten - ein Entwurf, der eigentlich von Sir Lindsay Hood stammt, zumindest ist der A21 dieser Entwurfs-Geschichte "wie aus dem Gesicht geschnitten"
A1-Verhältnisse
Hier die Rahmendaten für einen Class-A-Verstärker der Leistungsklasse eines A1:
Gehen wir meinetwegen von 16W Transistor-Push-Pull aus, bei denen an 8 Ohm realer (Widerstands-)Last NIE ein End-Transistor abschalten soll, was ja die eigentliche, engere Definition von Class A ist.
Dann benötigen wir unter Idealen Bedingungen (keine Sättigungsspannung, keine Spannung an Widerständen, konstante Versorgung) eine unverzerrte Sinus-Wechselspannung von 11,31V und daher eine Betriebsspannung von mindestens 2x 16V, das sind die Plus- und Minus-Spannungen an der Übersteuerungsgrenze. Gleichzeitig muss bei dieser Spannung ein Strom von 2,0A in die Last geliefert werden. Bei Konzepten mit Fix-Strom-Quellen (wie dem o.g. Sugden A21) MUSS man diesen Maximal-Strom man für Class-A-Betrieb als Ruhestrom einstellen, sonst würde zwangsläufig ein Endtransistor noch unterhalb der Übersteuerungsgrenze abschalten - und das wollten wir ja nicht. Sind beiden Hälften linear komplementär angesteuert, könnte man minimal mit genau der Hälfte auskommen, also mit 1A. Multipliziert man nun die Betriebsspannungs-Summe mit dem Ruhestrom, so erhält man die Ruheleistung von 32W. Mindestens das Doppelte der nutzbaren Class-A-Ausgangsleistung bei Vollaussteuerung also und gleichzeitig der beste Wirkungsgrad, der sich mit der Schaltung erreichen ließe. Das sind nun aber leider die "Ideal-Verhältnisse" bei nur 2x16V und Vollaussteuerung bis zu dieser Betriebsspannung, ohne Sättigung, ohne Verluste. In Wirklichkeit arbeitet das Gerät aber mit 2x24V und um die 700mA Ruhestrom. Da kann ein lineares "Class-A" niemals klappen.
Übrigens gibt ein A1 mit dennoch in etwa die 2x32W an Wärme an den Deckel ab. Zufall? ...eher nicht...
Nun kennen wir also die geforderten Werte:
- 2x16V
- 1,0A Ruhestrom
Im A1 finden wir vor:
- 2x24V und Verluste - damit sind tatsächlich ca. 16W ohne Übersteuerung erreichbar
- empirisch in Verstärkern gemessen sieht man maximal 0,73A Ruhestrom bei den heißesten Exemplaren (320mV Kollektor-Kollektor), im Schnitt der Geräte sind es eher 0,66A - das reicht dann für 3,5W ohne Abschalten je eines Endtransistors an 8 Ohm. Oder an 4 Ohm sogar nur für für 1,75W. Das ist schon ordentlich laut. Doch absolut kein "Pure Class A" für ein 2x 20W-Gerät, selbst wenn man nur 8 Ohm zulässt.
Nun kommt es aber noch dicker: Der eingestellte Ruhestrom bleibt unter Last überhaupt nicht erhalten (!). Sowie zusätzlicher Strom zum Lautsprecher strömt, entladen sich nämlich die 47µF-Fußpunkt-Elkos in der Gegenkopplung, die in dieser Schaltung den Durchschnitts-Gleichstrom-Wert am Ausgangs-Widerstand integriert und damit auch den Durchschnitts-Strom am Gegenkopplungs-Widerstand ermittelt - dieser Offset-Strom wird durch einen hochohmigen Widerstand von der stabilisierten +/-12V-Spannung aus eingespeist und sorgt somit für den gewollten Ruhestrom - zumindest ohne Signal. Mit Signal wird dieser Ruhestrom vom Laststrom (gleichem Betrags) überlagert und entsprechend verfälscht.
Wenn die Schaltung in Ruhe einen Durchschnitts-Gleichstrom von 0,73A vorsieht, und es fließt zur Last ein Halb-Sinus-Spitzen-(Dach-)Strom von 2,0A dann ist das effektiv ein Wert von etwa 1,41A, wovon aber nur in jeder zweiten Halbwelle zum Tragen kommt. Damit entspricht das einem Durchschnitts-Gleichstrom pro Halbwelle von 0,71A bei 16W.
Dem Leser fällt vielleicht auf, dass das GENAU der Wert ist, den man beim A1 empirisch ermittelt und als Ruhestrom vorgesehen hat? Das ist exakt der Wert, bei dem der Ruhestrom im Fall einer längeren Vollaussteuerung NULL wird und der A1 ein reiner B-Verstärker ist, knapp unterhalb dieser Einstellung wird er bei Vollaussteuerung ein C-Verstärker und produziert unter Vollast übelste Übernahmeverzerrungen - noch bevor er klippt.
Dasselbe gilt für 4-Ohm-Lautsprecher, denn die erzeugen diesen Last-Strom schon bei der halben Leistung, bei der der Verstärker übersteuern würde, was den A1 für 4-Ohm-Wandler auf genau dieselben 16W begrenzt, die er an 8 Ohm aufbringt, nur dass er halt bei 4Ohm und 16W im Nulldurchgang beginnt zu verzerren, bei 8 Ohm und 16W dagegen zuerst an der an der Betriebsspannung "anstößt".
Dieses Problem gibt es beim B1 übrigens nicht, denn hier kamen keine Fußpunkt-Kondensatoren zum Einsatz. Daher kann man ungestraft den Ruhestrom viel niedriger einstellen, der B1 bildet einfach keinen Durchschnittswert somit gilt im Gegensatz zum A1 für jede Halbwelle "neues Spiel, neues Glück". Nachteil: die beruhigende Wirkung des Kondensators fehlt. Vor allem fehlt aber dessen hohe Impedanz bei Gleichspannung, die beim A1 die Offset- und Ruhestrom-Verstärkung auf den Faktor 1 reduziert. Die Abweichungen beim Ruhestrom und bei der Gleichspannung an den Lautsprecherklemmen bestehen also 1 zu 1 nur aus den Eingangs-Offset-Werten der Eingangs-Transistoren. Sind die jeweils gepaart, ist der Ruhestrom ohne Signal extrem präzise und gleichmäßig, der Offset liegt stets im niedrigen einstelligen Millivolt-Bereich.
Der B1 dagegen behandelt den Eingangsoffset mit seiner kompletten, thermisch abhängigen Verstärkung, Offset, Ruhestrom, alles driftet mit der jeweiligen Verstärkung vor sich hin und beruhigt sich nie.
Der A1 kennt das nicht, völlig konstante Verhältnisse. Und da im gesamten unverzerrten Aussteuerungs-Bereich der Zusatz-Laststrom der einen Verstärker-Hälfte stets vom gleichzeitigen Minder-Strom der anderen Hälfte kompensiert wird, ändert sich der Gesamt-Energie-Umsatz nicht stärker, als bei einem Class-A-Gerät - gar nicht. Nur ist es eben gar kein Class A -Verstärker, eher das Gegenteil, da der Arbeitspunkt unter Last fällt, statt zu steigen und bei längerer Voll-Last eben exakt im Nulldurchgang schaltet.
Der A1 ist also auch gar nicht deshalb so warm, weil er "Class A" wäre. Nein, man muss bei dieser Schaltung nur eben mindestens so viel Ruhestrom einstellen, damit bei Voll-Last davon gerade noch was übrig ist. Könnte die Schaltung den Last-Strom vom Ruhestrom unterscheiden und in der Folge den Ruhestrom Last-Strom-unabhängig präzise konstant halten, dann wäre diese Erwärmung zumindest bei einer linearen Ansteuerung völlig unnötig. Die Hitze hat eigentlich nur einen einzigen akustischen Vorteil bei dieser Schaltung: sie wärmt die Elektrolytkondensatoren und deren warm verbesserte Ionen-Leitfähigkeit macht den Verstärker wohlklingender, völlig unabhängig vom Verzerrungs-Grad und vom Arbeitspunkt. Der hohe Verbrauch steigert jedoch auch den Verschleiß.
Während der Entwicklung dieses Artikels habe ich zudem die A1-Schaltung ausführlich simuliert und dabei variiert. Und dabei stellten sich noch ein paar unerwartet-wundersame Dinge heraus:
Bis nahe an die Übersteuerungsgrenze unter Nennlast verhält sich das Gerät nämlich völlig anders als man von einer linearen Schaltung erwarten würde.
Wenn nicht wirklich Class A, klingt er dann schlecht?
Nein, nur davon, dass er weniger Strom vergeudet, klingt ein Verstärker nicht schlecht. Das hat einfach überhaupt nichts direkt miteinander zu tun. Die Stärken und Schwächen des Konzepts liegen an ganz anderen Stellen, als der Hersteller kommuniziert. Sorry, Herr Michaelson, aber Sie haben vermutlich die genaue Funktion des Geräts auch nach Jahrzehnten noch nicht verstanden, vielleicht kann ich hier mal endlich aufklären.
Der A1 ist im Grunde eine Röhrenschaltung.
Warum Leute Röhren für besser halten, warum Leute Class A für besser halten und WARUM beide Konzepte teils wirklich besser sind - das sind zwei Paar Stiefel.
- Geglaubt wird: Röhren klingen gut wegen ihres "schönen" Klirrfaktors. Mag sein dass der Klirr schön ist, ich finde ihn aber meist nur schön falsch, bestenfalls eine Art Vanille-Soße über dem Klang.
- Tatsache ist: Standard-Röhrenverstärker in Push-Pull-Konfiguration sind gewöhnlich mit den Anoden über den Ausgangs-Trafo mit der Last gekoppelt. Die Anode ist kein Steuer-Anschluss der Röhre, es ist der Anschluss mit der geringsten Rückwirkung. So gekoppelt sind die Ein- und Ausschalt-Effekte im AB-Betrieb minimal und reagieren beim Schalten auch so gut wie überhaupt nicht auf HF-Impedanz-Eigenschaften der Last oder Wirbelströme im Lastkreis. Die Schalt-Effekte sind daher absolut minimal, daraus resultierende Regel-Fahnen in der (durchaus üblichen) Über-alles-Gegenkopplung unterbleiben. Eine ganze Klasse an chaotischen, disharmonischen Intermodulationsverzerrungen kann in einem Röhrenverstärker nicht mal ansatzweise entstehen. Nicht "ein bisschen weniger" disharmonischer Dreck, nein überhaupt nichts davon, null. Die fehlende lokale Gegenkopplung lässt also vielleicht den Dämpfungsfaktor nicht allzu gut werden. Doch dafür beschränken sich die Verzerrungen vollkommen auf die Harmonischen, ein Röhrenverstärker kann also nur ganzzahlige Vielfache der zugeführten Frequenzen erzeugen. Durch Musik nur angeregte Falsch-Frequenzen hingegen, die spektral nur in Beziehung zu Konstruktions- und Bauteile-Parametern stehen, gibt es nicht. Für diesen Vorteil kommt es allerdings auch gar nicht auf das Bauteil "Röhre" an:
- Der A1 ist mit den Kollektoren an die Last angeschlossen, auch hier gibt es keine lokale Gegenkopplung, auch im AB-Betrieb gibt es keine daraus entstehenden Schalt-Fahnen. Und genauso wie Röhrenverstärker produziert auch der A1 auf reiner Transistor-Basis ausschließlich harmonische Verzerrungen, statt einem die Stricknadel durch den Kopf zu schieben.
- Leute glauben, "Class A" klingt so gut, weil so "linear"
- Tatsache ist: ein gut konstruierter B-Verstärker liegt in Sachen Klirr mit vielen echten Class-A-Verstärkern gleichauf. Gute AB-Konzepte sind dagegen in der Regel schlechter als A- oder B-Verstärker. Gerade der A1 mit seiner geringen Leerlaufverstärkung und der sehr schnell in die Sättigung gehenden Eingangsstufe ist gar kein gutes Beispiel für Linearität oder Pegel- oder Klirr-Konstanz.
Die tatsächlichen Vorteile von "Class A" sind dagegen: - fehlendes Schalten der End-Transistoren
auch bei Emitter-/Source-/Kathoden-Folger-Schaltung der Ausgangsstufe, also mit lokaler Gegenkopplung und entsprechend hohem Dämpfungsfaktor - Konstante Netzteil-Last, quasi parallel-stabilisiert. Im Gegensatz zu AB-Konzepten gibt es also keinen Übergang des Netzteils vom konstant-belasteten Modus in einen proportional belasteten Modus, was bei schlechter Rail-Spannungs-Unterdrückung ja zusätzliche Verzerrungen und z.B. bei rechts-links-Pegel-Unterschieden Abbildungs-Probleme produzieren kann.
- warme Elektrolytkondensatoren