Vollverstärker

Synthesis Seamus

Verkauft 2018 für 698,- €
3 Jahre Garantie*
*Erläuterung siehe Garantiebestimmungen

Eigenschaften:

  • nur Line-Eingänge
  • zweiteilig, Netzteil separat
  • nur Line-Eingänge, Tape-Ausgang
  • zwei einzelne, gerastete Alps-Lautstärkeregler für jeden Kanal
  • Signalschalter mit vergoldeten Kontakten
  • 4 mm Lautsprecherbuchsen

Italienisches Röhren-Gerät - Vorderansicht

Anschlüsse

Evakuierte Pfandflaschen

Zu diesem Röhrengerät bin ich im Grunde ohne viel eigenes Zutun gekommen: mein Musical-Fidelity Vorführ-David in Nürnberg hatte einen Interessenten gefunden, der das Gerät reservieren und später zahlen, am liebsten aber gleich mitnehmen und testen wollte - und dieser, zu diesem Zeitpunkt noch defekte Röhren-Verstärker war nach kurzer Bewertung als Pfand hinterlassen worden.

Da ihm der David auch sehr gut gefiel und offensichtlich zu seinen Röhren-gewohnten Lautsprechern hervorragend passte, sind wir uns einig geworden, später kam dann das Pfand-Gerät zu mir.

Äußerlich betrachtet fehlt erst mal der Abdeck-Käfig für die Röhren.
Dann hat jemand die verchromten Trafo-Hauben schwarz angestrichen, was natürlich abblättert - doch das sei einem möglichen Nachbesitzer überlassen, ob er lieber die schlecht haftende schwarze Farbe flickt, oder wieder ganz entfernt.
Kleine Schäden an den Leimkanten und hinten am Holz neben den Buchsen gibt es auch, ist aber nicht nennenswert.

Voll Neugier habe ich das Bodenblech des Verstärkers abgenommen und auf den ersten Blick hätte das Innere fast täuschen können. Denn da drin sah es erst mal "fast normal" bis "edel" aus. Zumindest, solange man mit der Fernbrille rein schaut. Der zweite Blick brachte mich dann erst mal ins Zweifeln, ob sich mit dem Gerät denn überhaupt noch was anfangen lassen würde. In Wirklichkeit waren die fetten Rollen da drin nämlich nur unpassend hinein geflickt.

Ein Koppelkondensator ist bereits zurück gewechselt, im Vergleich viel kleiner

Pseudo-Edel-Tuning oder "gewollt und nicht gekonnt"

Das habe ich hier nicht zum ersten Mal erlebt: es hatte sich jemand eingebildet "mehr Kondensator" sei besser - umso mehr, je spektakulärer der Aufdruck, das Volumen und die Nennwerte.

Und an Show hat derjenige nicht gespart. Gold- und Silber-bedruckte "Jantzen Audio" besagten durch ihr Volumen und ihre Aufschrift, sie seien sehr spannungsfest, sehr eng toleriert und folglich besonders geeignet. Auch zwei russische NOS-Kondensatoren waren mit von der Partie. Und diese "edlen" Teile, die "Jantzens" spielten nach genauerer Recherche gerade mal in der Preislage von unspektakulärer Markenware mit, waren dann so groß und schwer gewählt, dass sie auf die gegebene Platine keinesfalls ins gegebene Raster passen konnten. Also hat man einfach die Anschlüsse zurück gebogen, notdürftig, aber unzureichend mit Isolierschlauch und Klebeband gegen Kurzschluss gesichert und am letzten Ende so mit den Leiterbahnen verlötet, dass die stellenweise nicht nur von dem schweren Bauteil, sondern auch vom Rest der Schaltung abreißen mussten. Klar, dass hier nichts mehr ging.

Nun will ich hier keinesfalls generell gegen hochwertige Kondensatoren unken, es gibt ernst zu nehmende Hersteller, die da auf höchste Qualität setzen und je nach Einsatzgebiet auch durchaus größere Formate fertigen und einbauen. Das muss man im Zusammenhang sehen, so was kann sogar zu einem der wichtigsten Kernstücke einer Konstruktion werden, wenn man gekonnt eine reduzierte Zahl an Koppel-Stellen korrekt auslegen will.

Nur ist ein großer Kondensator eben groß, weil seine geforderte Materialauswahl, Spannungsfestigkeit, innerer Aufbau und Kapazität das erzwingen. Kommt man mit was kleinerem genauso gut aus, so sollte man das allerdings vorziehen - allein die räumliche Signal-Verteilung in einem großen Bauteil führt ja bereits wieder zu vermehrten negativen Effekten, auch die Mikrophonie verlagert sich, die mechanische Belastung der Anschlüsse steigt. Das soll kein Plädoyer für minderwertige Bauteile sein, doch ein richtig dimensioniertes "amtliches", aber bezahlbares Teil ist aus den oben genannten Gründen häufig einem völlig überdimensionierten, teuren "Show-Teil" überlegen.

Ähnliches gilt übrigens für den angegebenen Toleranzbereich, die Jantzens hatten angeblich eine hohe Genauigkeit von 2%: Abweichungen im einstelligen Prozent-Bereich oder gar (deutlich) unter einem Prozent sind z.B. notwendig, wo man mitten im Hörbereich exakte, möglichst Kanal-synchrone Frequenz- oder Phasenverläufe benötigt. Z.B. bei einem RIAA-Filter (gesetzt die Platte wurde korrekt geschnitten) kann man nur mit einem präzisen Aufbau das originale Frequenz- und Phasen-Verhalten des Signals wieder herstellen. Da würde auch ich zu extrem genauen Kondensatoren greifen, wenn es das Budget erlaubt. Absolut sinnlos sind präzise Werte allerdings wie hier für die Bandpässe eines Verstärkers, ob die untere Grenzfrequenz nun 2 Oktaven unter dem Hörbereich oder meinetwegen einen Halbton tiefer liegt, spielt nicht die geringste Rolle - so wenig wie bei einem HF-Eingangs-Filter die Frage, ob man nun genau 5 Oktaven über dem Hörbereich oder eine Terz mehr oder weniger vom Radioempfang begrenzt. 10%ige Koppelkondensatoren sind also keine Schande und verschlechtern zumindest durch diese spezielle Eigenschaft keinesfalls den Klang.

angeflickte NOS-Kondesatoren mit kyrillischem Aufdruck

Und hier wurden nun z.B. 630V-Kondensatoren auf dem Weg vom Lautstärke-Regler zum ersten Vorstufen-Gitter eingesetzt, baumelten schwer an ihren verlängerten, abgerissenen Anschluss-Beinen. An sich eine Aufgabe für einen Kondensator mit sehr geringer Spannungsfestigkeit und Baugröße, einzig der Leckstrom und die Verzerrungs-Armut bei geringen Strömen sind gefragt, mit viel Phantasie könnte man für den Fall eines unwahrscheinlichen Röhren-Defekts (Anoden-Gitter-Schluss) eine etwas höhere Spannungsfestigkeit vorsehen, im Grunde ließe sich der Kondensator sogar straflos entfernen/überbrücken, solange die Eingangs-Röhre in Ordnung ist.

Die anderen "Jantzen"-Koppel-Cs waren zwar in ihrem Einsatzbereich zwischen Anode und Gitter tatsächlich "hohen" Gleichspannungen ausgesetzt, bei einem EL34-Verstärker schätzte ich die Betriebsspannung allerdings vor dem ersten Einschalten (so ja unmöglich) auf maximal 400V - mit 800V und 1200V war man hier also weit über das Ziel geschossen. Das notwendige Volumen bei ansonsten gleichem Bau-Prinzip wächst genau wie die speicherbare Energie bei gleicher Kapazität quadratisch mit der Spannung, doppelte Spannung heiß also etwa das vierfache, dreifache Spannung sogar zirka das neunfache Volumen.

Auf der Rückseite sieht man die abgerissenen Leiterbahnen

Um das Gerät wieder "normal" anhören zu können, musste also zunächst der Fremdeingriff rückgängig gemacht werden. Bilder aus dem Netz zeigten, dass ursprünglich recht kleine gelbe Typen, vermutlich von Vishay oder Cornell Dubilier eingesetzt waren, die Baugröße auf den Fotos entsprach exakt den Maßen der Platine. Die bei RS verfügbaren Vishay-Typen waren bei 400V (bzw. 250V für den Eingangs-Kondensator) exakt so lang und so dick wie auf den Bildern.

Also habe ich erst mal den (Vor)Besitzer kontaktiert und mit ihm den Inzahlungnahme-Preis für das Gerät verhandelt, ein halber Arbeitstag zuzüglich Material war ja jetzt vorhersehbar, der Verkaufswert in etwa klar, da konnte ich ihm ein Angebot zum Rest-Wert des defekten Geräts machen, auf das er eingegangen ist. Und als der Verstärker dann meiner war, habe ich es ausprobiert.

Vishay-Koppel-Kondensator in exakt der Größe, die die originalen Kondensatoren hatten

Es war dennoch nicht jeder Arbeitsschritt vorhersehbar, die voraus geplante Zeit hat nicht ganz gereicht, doch letztlich waren alle Klippen umschifft, die "originalen" Kondensatoren wieder drin und ordentlich mit den Leiterbahnen verlötet - wo nötig, hatte ich die Leiterbahnen noch ein Stück blank gemacht und den Anschlussdraht aufgelötet (bzw. auf der Gegenseite Draht-Ösen angebracht). Das hält jetzt wieder, sind ja auch viel leichter.

Inbetriebnahme

Weitere schwere Fehler über die verbastelten Regionen hinaus haben sich nicht heraus gestellt, nur Kleinigkeiten.

Einen Abgleich der Endstufe konnte ich umgehend machen, jemand hatte 50mA BIAS auf die Platine notiert - so was freut die Röhren-Hersteller, denn das ist eine reichlich "heiße" und verschleißträchtige Grundeinstellung, die aber gegenüber einem vernünftigen Kompromiß-Abgleich auf gerade mal 60% maximaler Anodenleistung keine klanglichen Vorteile bietet. 40mA haben sich später auch klanglich als optimal erwiesen, entsprechen im übrigen auch den Werten vieler Datenblätter der EL34. Es gibt noch einen Symmetrie-Abgleich für die Treiber-Röhren, der auch durchgeführt wurde, es empfiehlt sich also jetzt nicht, Röhren in ihren Steck-Positionen gegenseitig zu tauschen. Geht nichts kaputt, aber die Qualität nimmt ab.

Zur Konstruktion selbst

Das Gerät ist eine klassische Push-Pull-Konstruktion an durchaus üppig dimensionierten (also Bass-starken) Lautsprecher-Übertragern ohne Ultra-Linear-Anzapfung, die Schirmgitter der EL34 liegen fix auf der Versorgungsspannung der Treiberstufe. Das Netzteil hatte ich nie geöffnet, das Gerät kann heute (2017) höchstens 6 Jahre alt sein, da ist ein "recapping" der Elkos verfrüht, nur zwei kleine 100µF auf dem Endstufen-Board habe ich gegen Panasonic FM-Typen getauscht. Weder die Anoden- noch die Gitter-Vor-Spannungen sind stabilisiert, so dass sich der Arbeitspunkt der Endstufe bei Netzspannungsschwankungen automatisch kompensieren kann.

Was mir aber sauer aufgestoßen ist: direkt nach dem Einschalten, wenn die Röhren noch nicht angeheizt sind und so auch keinerlei Strom aus dem Netzteil entnommen wird, steigt in der gesamten Sieb-Kette die Spannung bis auf 460V. Diese hohe Spannung liegt dann an den Anoden der Vorstufen-Röhren und natürlich auch an den Koppel-Kondensatoren, das Netzteil ist da ein wenig "gefährlich" in der Leerlaufspannung (ohne Röhren oder ohne Heizung) ausgelegt. Im Betrieb dagegen ist alles im grünen Bereich, wie erwartet ca. 380V an der Endstufe, 340V an den Treibern und unter 280V an den Vorstufen. Nur beim Einschalten eben einige Sekunden a. 20% zu viel für die Koppel-Cs (die ja auch noch zusätzlich mit der negativen Gitter-Vorspannung von ca. -30V belegt werden).

Ich habe eine Gegenmaßnahme eingebaut: in der Versorgung der Vorstufe wurde mit zwei 5W-150V-Zenerdioden auf etwa 300V begrenzt, für die Treiberspannung habe ich zwei 180V-Typen-eingesetzt. Einen kurzen Augenblick müssen letztere 8W verbraten, die nachfolgenden noch 2W - das halten sie bei gezogenen Röhren durchaus eine Weile durch, was aber jetzt keinesfalls mehr passiert ist, dass die Koppelkondensatoren beschädigt werden. Beim Nachmessen ist die Spannungsüberhöhung während der paar Sekunden des Anheizens auf unter 2% zurück gegangen, das ist exakt die richtige Auslegung, denn die Auswahl genau dieser Werte lässt die Wirkung der Zenerdioden im Normalbetrieb völlig verschwinden, der Verstärker ist somit im Vergleich zur Werks-Auslegung nur besser geschützt, aber nicht klanglich verändert.

Letzte Maßnahmen für die Hörprobe

Auch die Innenverkablung war vom Vor-Bearbeiter verkehrt wieder angesteckt, beim Umdrehen des einen IC-Sockel-Steckers blieb zudem der Pin in der Fassung - der war aber nicht von mir beschädigt, der war schon ab. Noch mal alles auseinander, den Sockel gewechselt, den Stecker mit einem Draht-Pin sauber geflickt. Endlich machte jetzt auch der Umschalter alles gemäß der Beschriftung.

Und dann konnte der Seamus an die Bluesline Beat.

Klanglicher Eindruck

Was eine Röhre so an Vorteilen hat, das nutzt der Seamus auch, da schöpft er seine Möglichkeiten voll aus. Was noch keine Röhre konnte, die Bass-Überhöhung der Box in den Griff zu bekommen, das ist seine Stärke auch nicht, doch sonst teilt er mein Lob für Konstruktionen mit dieser Topologie. Dreipolige Verstärker-Elemente wie Transistoren, Röhren und Feldeffekt-Transistoren können prinzipiell auch in drei Grundschaltungs-Varianten eingesetzt werden, für Strom-Verstärkungs-Zwecke in Endstufen sind davon zwei geeignet. Im einen Fall, wenn die sogenannte Kathoden(/Emitter/Source)-Schaltung zum Einsatz kommt, besitzt die Leistungsstufe keine Spannungs-, sondern nur reine Strom-Verstärkung. Dadurch dass einer der beiden steuernden Anschlüsse direkt am Ausgangs-Signal liegt, entsteht eine heftige lokale Gegenkopplung, die einerseits das Signal linearisiert (geringer Klirrfaktor), die aber gerade im Übergabepunkt zur anderen Halbwelle auch Effekte aufweisen, Stabilitäts-Probleme  zeigen und hörbar machen kann. Mit den Anoden an die Last gekoppelte Röhren-Verstärker zählen grundsätzlich zu einer anderen Kategorie, die von Herrn Rieder konstruktiv bevorzugt wird und z.B. auf der alten Abacus-Seite beschrieben wird. Im Lautsprecher-Kreis befindet sich kein Steuer-Anschluss des Leistungs-Elements, lokale Rückwirkungen auf die Steuerung sind damit ausgeschlossen. Das ist einer der Gründe, warum Röhren-Verstärker bestimmte Arten von Verzerrungen nicht etwa nur in geringerem Maße produzieren - nein, sie kennen sie absolut überhaupt nicht, weil sie unmöglich entstehen können. Klar geht das im Gegensatz zur Theorie bei echten Konstruktionen wie immer mit ein paar Pferdefüßen einher, sonst hätte man nie andere Arten von Geräten gebaut.

Doch auch diese Röhre hat wieder die typische, Schlacke-freie Stimmwiedergabe, die ich auch bei den von Paravanchini ganz ähnlich konstruierten Musical-Fidelity-A-Geräten so schätze (da schließt sich der Kreis zum o.g. "David"). Abgestimmt ist das ganze sehr ausgewogen, nicht übertrieben breitbandig, aber durchaus ohne Bevorzugungen im kompletten Hörbereich daheim.

Dynamisch zeigt der Seamus keine übertriebenen Spitzen, wie zu erwarten liebt er eher leichtgängige Lautsprecher um eine schöne Balance zwischen Raumtiefe und Gangart zu zeigen. Er tritt dabei sehr "rund" und "vollständig" auf, verschluckt nichts und zeigt auf seine Weise Färbungen und Details, die einen einladen zu hören.

Alles in allem sehr schön gemacht und gerade für den Preis dieses Angebots sicher an einigen passend ausgesuchten Lautsprechern ein Erlebnis.