Vollverstärker

Naim Nait 1 (DIN-Buchsen) ca. 1985

Revision:

  • Bedienelemente Reinigung/Versiegelung
  • Erneuerung aller Elektrolyt/Tantal-Kondensatoren
  • Neue Trimmer, Abgleich

Eigenschaften:

  • Phono-MM-Eingang Cinch
  • alle Line-Pegel-Eingänge in DIN-Norm ausgeführt
  • eine Tape-Schleife, Tuner- Eingang
  • Umschalter wechselseitig auslösend, der ganz rechte ist der Netzschalter
  • Gehäuse Alu Strangguß, Struktur-Lack mit Chassis-U-Einschub.

Beschreibung

Zu der Zeit, als dieses Gerät gebaut wurde bin ich des öfteren in Salisbury vorbeigekommen, sogar zweimal per Fahrrad - Naim habe ich aber nie gesehen, immer nur die Kathedrale. Nun, damals habe ich nach so was auch noch nicht gesucht.

Das Gerät ist sozusagen der britische Klassiker schlechthin, wobei ich in einigen Foren gelesen habe, dass das längliche Design, das typische Grund-Layout (wie es auch z.B. beim Mission Cyrus verwendet wurde) eher von von Onix abgeschaut ist als umgekehrt. Nachdem die Analyse einer in einer britischen Hifi-Zeitschrift deutlich durchscheinend und mit ablesbaren Bauteilen dargestellten Naim-Endstufe (ich glaube eine NAP-250, so oder ähnlich hieß die) ergab, dass die Schaltung sich mit der Grundschaltung von Exposure bis auf's i-Tüpfelchen glich, gebe ich auch auf die Schaltung weniger als vorher, es handelt sich sowieso um keine patentierbaren Designs, es ist auch egal, wer da von wem vielleicht abgeschaut hat - in der Ausführung und in vielen klanglichen Belangen sind die Geräte trotzdem recht unterschiedlich.

So auch der Nait1 / Nait2 im Vergleich zu gleich alten Onix OA20 / OA21ern. Beide haben einen ähnlichen Aufbau, beide sind von der Insel, keine 100 Meilen voneinander gefertigt, mit ganz ähnlichen Scherpunkten aber mit unterschiedlichem Ergebnis. An sich sieht man schon an ein paar Details die Zielrichtung. Onix hat auf dynamische Fragen mehr Wert gelegt, das Netzteil ist durchaus kräftiger ausgelegt, die Ruhestromschaltung ist raffiniert und verschafft dem Gerät selbst bei geringer Grundeinstellung unter Last einen guten Nulldurchgang. Ein Gerät mit live-Kapazitäten trotz geringer Nominal-Leistung. Der Nait dagegen ist von vornherein auf extrem saubere Signalverarbeitung ausgelegt, ein "low-distortion design", wie man im Web lesen kann. Zwar ist auch hier nur ein geringer Ruhestrom vorgesehen, aber von vornherein ist alles einen Tick cleaner und farbiger - dafür aber auch nicht so druckvoll. Der Nait spielt sozusagen lieber Kammermusik, und das absolut klasse. Wie die meisten ernstzunehmenden Briten aus den achziger und neunziger Jahren, gibt es keine Klangregelung, der Nait hat immerhin eine rudimentäre Balance-Regelung, hier kann man den Verstärkungsfaktor der rechten  Vorstufe ein klein wenig variieren, um ausszugleichen, was man vielleicht nicht per Lautsprecher-Aufstellung erreicht.

Dieser Nait hat einen aufwändigen, fest auf dem Mainboard integrierten MM-Phono-Vorverstärker, wer also statt dessen MC anschließen will, kann nicht umrüsten. Er muss auf einen Übertrager oder auf eine externe (Vor-)Vorstufe zurückgreifen.

Die Lautsprecher werden über 4mm-Buchsen ansgeschlossen.

Erhalten habe ich das Gerät mit zerschossener Endstufe, ich könnte mir vorstellen, dass das beim Hantieren mit den Lautsprecherkabeln bei eingeschaltetem Gerät passiert ist. Normalerweise ist das nur beim Lösen der Lautsprecherseite gefährlich, hier aber (wie auch bei einigen Creeks, EMFs, Arcams) könnte man bei ungünstig gewähltem Stecker mit großem Durchmesser oder unisoliert seitlich abgehendem Kabel durchaus auch ein Kurzschluss an der roten Buchse gegenüber dem Gehäuse machen. Also aufgepasst an dieser Stelle, eine Lautsprechersicherung gibt es nicht, sehr leicht stirbt dabei die Endstufe - und das wäre kein Garantiefall, das Gerät ist so wie es ist.

Grob zusammengefasst: dieser Schuhkarton ist absolut minimalistisch, nicht mal allzu breitbandig oder durchzugsstark ausgelegt, konzentriert sich dabei allerdings absolut gelungen auf das Wesentliche.

Blick von oben: typisch britische Topologie

Das Netzteil: neue Kondensatoren für die Endstufen- und die Phonoversorgung. Anstelle der axialen Typen wurden vor allem Panasonic FM-Typen eingesetzt, in der Phonoversorgung liegt ein größerer Elko daher in Schrumpfschlauch gewickelt flach.

Änderungen

Kurzum - das Gerät wurde kaum verändert.
Die Endstufe hat neue Transistoren, die war defekt - der Vor-Reparateur hatte allen Ernstes Darlington-Typen eingesetzt, damit lässt sich dann der Ruhestrom eigentlich gar nicht richtig einstellen, es ist der weichen Ruhestrom-Regelung zu verdanken, dass man damit am Anschlag überhaupt in einen sinnvollen Bereich kam.
Also das musste natürlich wieder anders werden, es sind jetzt normale bipolare Typen eingesetzt, Treiber von Zetex, alle defekten oder möglicherweise mal überlasteten Widerstände sind erneuert, die Schaltung dürfte jetzt wieder extrem nahe am Original sein. Welchen Typ Endtransistoren Naim nun wirklich eingesetzt hat, bleibt unter dem Firmenaufdruck meinetwegen ein Geheimnis, ich tippe auf BD911/912 (wie auch im Onix OA20) und liege damit sicher nicht allzu weit von der Wahrheit. Eine Freiheit nehme ich mir allerdings beim Nait generell: die Werkseinstellung des Ruhestroms ist minimal zu klein. Gibt man ihm hier ca. 20mA, dann erreicht er sein Klirrfaktor-Minimum, wird dabei nicht wesentlich wärmer oder schaukelt sich gar auf - aber er beginnt zu "singen".

An Elektrolyt-Kondensatoren ist alles rausgeflogen, nach 25 Jahren Betrieb kann man die alten Elkos einfach in der Pfeife rauchen

... ich meine, Sie holen Ihren 25 Jahre alten Golf ja auch nicht aus der Garage und bestehen bei der Oldtimer-Fahrt auf den originalen alten Reifen, irgendwo hört der Spass auf, das merken Sie spätestend beim Bremsen. Es ist an dieser Stelle einfach aus Funktionsgründen sinnvoll, aktuelle Ware einzusetzen...

Drin waren viele axiale Elnas, jetzt sind's radiale Panasonics, es wurde aber nirgends ein Wert geändert. Die Schalter gehen noch gut, die Potis wurden zerlegt und gereinigt. Leider sind mir zu dem etwas verzogenen Gehäuse-Profil bei der Handhabung auch noch ein paar Stellen an der Unterkante der Front-Folie angeknackst. Die wurden mit Kunstharz-Kleber wieder in Position gebracht und der Schaden fast unsichtbar gemacht. Ohne diese beiden Makel würde ich für das Gerät jedenfalls 100€ mehr verlangen, technisch ist der Naim einwandfrei.

Klang

Wo man für live-Rockkonzerte vielleicht lieber einen Onix oder Creek einsetzen würde, da ist der Naim wiederum für ein Ba-rockkonzert oder einen Jazz-Club ideal. Ja, bei so kleinen Kisten ist die Abstimmung durchaus noch eine Frage des Geschmacks, eine Kompromißfrage.

Die absolute Stärke des Naim ist der Grundtonbereich, die total musikalische Auflösung von scheinbar selbstverständlichen, stimmhaften Passagen - bei denen man plötzlich merkt, dass man Sie auf derselben Scheibe vorher noch nie wahrgenommen hat. Solche Sachen im Stimmbereich spielt der Nait mit einer Farbigkeit, die Ihresgleichen sucht. Nehmen Sie z.B. Renaissance-Musik oder Folk, Blues oder Chor, dann merken Sie, dass die Konstruktion zwar im Frequenzband und in der Mächtigkeit beschränkt ist, den Kern der Musik dafür aber umso klarer herausstellt. Insofern ähnelt der Nait in der Zielsetzung einem 50er-Jahre Röhrenradio, auch hier gab man sich noch größte Mühe, genau das natürlich wiederzugeben, worauf das Ohr im täglichen Gebrauch am stärksten geeicht ist: die menschliche Stimme. Und natürlich alles andere im gleichen, hochempfindlichen, mittleren Hörbereich.
Den Nait empfehle ich vor allem jedem, der an Klangfarben Spass hat.