Gut gemacht und gut erhalten

Dieser "Nemo" hat mal in der Größenordnung um 3000DM gekostet. Knapp bevor ich in meinem Laden eingezogen bin, hatte ich ihn zur Reparatur, die großen Elektrolyt-Kondensatoren zeigten gewölbte Deckel - warum kann ich nicht mehr sagen, aber auch zu dieser Zeit bin ich bereits recht radikal vorgegangen: Alle Elkos neu und alle mit erster Wahl ersetzt - Pansonic HA in den Endstufen-Netzteilen, FM und FC in den restlichen Bereichen.

Den Verstärker hatte mir damals der Verkäufer gebracht, der hat ihn dem Kunden auch wieder zugestellt.
Um ihm kurz darauf den RG10 zu verkaufen, seitdem war der Nemo außer Betrieb.

Das Gerät ist ein wenig untypisch für einen Briten, da sehr großflächig aufgebaut, Ausstattung und Verarbeitungs-Qualität sind auch überdurchschnittlich für die Insel. Der Kunde hat zu seinem RG10 auch einen Symphonic Line CD-Player erworben und den soll ich Ihm nach dem Muster meines eigenen Players überarbeiten - da möchte er der Nemo als Anzahlung in Kommission verkaufen. Den Preis setze ich etwas höher als die letzten ebay-Verkäufe an, da ich für das Gerät in seinem überholten Zustand gewährleiste. 

Der Hörtest

für ein Gerät, mit dem ich bisher außer der Bearbeitung noch so gut wie nichts zu tun hatte (es gab bei der Revision keine Möglichkeit zu ausführlichem Probe-Hören), trat der Nemo beim Foto-Termin sehr überzeugend auf.

Biten-typisch ist sein spritziges und unlimitiertes Verhalten. Sauber und gut gestaffelt stellte er das Musik-Geschehen so überzeugend in den Raum, dass es wirklich eines Vollverstärkers aus der Symphonic-Line-Klasse bedurfte, um ihn in seine Schranken zu weisen. Auf dem Weg dahin liegt er in etwa auf halber Strecke, klanglich genauso, wie beim Neu- und Gebraucht-Preis. Absolut hörenswert!

Der Kunde hat mir auch den folgenden Prospekt mit an die Hand gegeben - per Rechts-Klick und "Bild anzeigen" können Sie den in voller Größe betrachten.

Noch mehr Information finden Sie auf dieser Seite.

Lauter Überraschungen - ein Nachtrag

gekauft hat das beim Kunden verpackt stehende Gerät ein befreundeter Hobby-Enthusiast mit viel eigener Hör- und Bastel-Erfahrung. Und der Verstärker ging direkt vom Vorbesitzer dort hin, ich hatte ihn nach der Überarbeitung 2008 nur kurz mal zum Fotografieren. Und gleich vorweg: den hätte ich mir mit meiner inzwischen gewachsenen Erfahrung, vor allem nach einer Entdeckung im Netzteil des A200/Avalon noch mal "zur Brust nehmen" und auch selber versenden sollen.

Da wäre es zwischen den beiden Kunden beinahe zur Eskalation gekommen, das jedoch größtenteils, weil ich 2008 noch nicht auf dem Zettel hatte, was alles sich Hersteller von hübsch aussehenden, gut klingenden High-End-Geräten manchmal für technische Schnitzer erlauben - auch und gerade bei den Briten gibt es da wohl extrem unterschiedliche Qualitäts-Vorstellungen. Eine erste Warnung hätte ein Frühwerk John Farlowes sein können, der 1979 (fünf Jahre nach seinem Debut) eine Exposure IV -Endstufe mit in der Spannungsfestigkeit zu knapp dimensionierten VAS/Treiber-Transistoren auf dem Markt hatte - die mir (bzw. dem Entleiher) so um die Zeit der Nemo-Bearbeitung aus genau diesem Grund um die Ohren geflogen ist. Doch ist Farlowe an sich kein Schlamper und hat später zunehmend auf höchste, zuverlässige Qualität gesetzt.  Und was relativ selten vorkommt, vergisst man leicht.

Nun hatte ich bei dem Nemo, daran kann ich mich erinnern, 2008 lauter aufgewölbte Deckel bei den Becher-Elkos, das allerdings für irgendeine Fremd-Einwirkung gehalten und sie mit gleicher Spannungsfestigkeit ersetzt, vermutlich den tatsächlichen Spannungswert gar nicht nachgemessen. Niemand würde doch jemals zu viel Spannung auf einen Elko geben...
Dass eben solche auf gewölbten Deckel bei Betrieb über der Nennspannung offenbar je nach Elkos-Typ fast zwangsläufig entstehen dürften, ist mir erst mit dieser "Reklamation" in Verbindung mit den Avalon-Erfahrungen wieder in den Sinn gekommen.

Fazit: Man muss im Zusammenhang mit "aufgeblasenen" Becher-Elkos IMMER die Betriebsspannung kontrollieren.

Folgender erster Bericht erreichte mich zum Nemo:

  • Transportschaden (Front verbogen, ungünstig verpackt) ...da kann man nur wieder begradigen...
  • Betriebsspannung ca. +/-54V an 50V-Elkos (!)
  • Offset beide Kanäle -50mV

Da war das Gerät (glücklicher Weise...) an den Richtigen geraten - und ich saß nun zwischen den Stühlen, der Vorbesitzer wollte ja Geld für das Gerät vom Nachbesitzer, der wiederum hatte Minderung anzumelden.

Ich habe einen Satz passende 63V-Elkos organisiert und die weitere Re-Revision per E-Mail begleitet sowie die Wogen erfolgreich geglättet - denn hier hatte vor allem der Hersteller die Ungeheuerlichkeiten eingebaut, ich sie nur vor sieben Jahren (noch) übersehen.

Ein Satz neuer Epcos-Becher-Elkos und viele kleine Detail-Änderungen

Der gefundene Schaltplan passte nicht ganz, war zudem schon theoretisch fehlerhaft, konnte allerdings dennoch noch andere, weit gefährlicher Pferdefüße als die unterdimensionierten Kondensatoren aufdecken:

neben den Lade-Elkos waren auch sämtliche Transistoren in den Spannungs- und Stromverstärkungs-Stufen nicht auf die vorliegende (und ohne Trafo-Wechsel nicht zu ändernde) Betriebs-Spannung ausgelegt, alles 100V-Typen, die hier mit 108V betrieben wurden. Die Transistoren wurden wurden sogar ausgebaut und einzeln zerstörungsfrei auf Spannungsfestigkeit geprüft. Sie hatten wirklich keine ausreichenden Reserven - ein russisches Roulette! Um die Katastrophe sicher auszulösen, braucht man meinetwegen nur noch zusätzlich leicht erhöhte Netzspannung - auf dem Land gibt es das. Dabei kurz eine Voll-Aussteuerung - sei es nur ein Stör-Klick, weil der Kühlschrank schaltet, schon haben wir den Salat:
Dann ist die Endstufe durch und man muss sich auf die einwandfreie Funktion der Sicherungs-Maßnahmen verlassen. Versagt jetzt noch die Schutzschaltung oder verschweißt sich der Relais-Kontakt, dann nimmt das Gerät u.U. noch ein oder zwei Lautsprecher mit...

Man kann fast vermuten, dass der Schaltplan ursprünglich für +/- 45V ausgelegt und dann einfach unverändert um knappe 20V "aufgedreht" worden war - ohne weitere Anpassung.
Was einiges erklären würde.

Und dann waren da noch andere unschöne Details wie eine ungünstig ausgelegte Relais-Schaltung (kein "sattes" Anziehen) und dilettantisch überstehend eingepresste Verschraubungen für die Leistungs-Transistoren - was an den neben der Schraube an der Wölbung stark unter Druck stehenden Isolierscheiben stetige Kurzschluss-Gefahr bedeutete.

In Summe erhielt der Verstärker noch folgende Änderungen:

  • ein Satz neue 63V-Lade-Elkos
  • VAS/Treiber- und End-Transistoren mit erhöhter Spannungsfestigkeit (Alles "F"-Varianten der ansonsten gleichen Typen, vorher war alles "C" - jetzt also TIP31F/TIP32F in der Treiberstufe, TIP33F/TIP34F in der Endstufe)
  • Neue, dickere Silikon-Isolierscheiben für die End-Transistoren
  • einen geänderten Relais-Spulen-Vorwiderstand
  • eine Offset-Servo-Automatik
  • einige Koppel/Fußpunkt-Kondenstoren als bipolare Typen

In der Endstufe sind jetzt alle Transistoren ausreichend Spannungs-fest, dazu die Isolierscheiben dicker

Und nun ist er tatsächlich ERSTMALS wirklich Betriebs-sicher. Und sowohl der Käufer, als auch ich um eine Erfahrung reicher - beide recht überrascht von den bei der ersten Revision nicht aufgedeckten Konstruktions-Mängeln, doch immerhin froh um ein jetzt recht umfassendes, sicheres Sanierungs-Konzept. Hiermit an den Käufer ein herzliches Danke für die konstruktive, kollektive Problemlösung!!!

 

PPS:

2016 habe ich einen Kunden-Nemo bearbeitet, bei dem ich noch einige Details klären konnte,
lesen Sie hier.